Wer entscheidet, welche Informationen für die Bürger wichtig sind?

Die ARD-Reform soll sowohl effizientere Strukturen als auch bessere Informationsangebote bringen. Was heißt das für die Informationsleistung des SR?

Aufnahme läuft: Der saarländische Ministerrat verkündet jede Woche Neuigkeiten aus der Landesregierung.  Foto: Staatskanzlei (Fotomontage)

Der von den Ländern eingesetzte Zukunftsrat für die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat für die anstehenden Qualitätsverbesserungen den Leitsatz formuliert: „Demokratie braucht guten Journalismus“. Er sei die Voraussetzung zur freien Meinungsbildung und zur Stärkung demokratischer Strukturen.

Info: Wie setzen die Medien ihren Auftrag um?
Sie tragen zur Stabilität des politischen Systems als auch zum stetigen Wandel der Gesellschaft bei. Dies geschieht, indem sie über alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft
●   vollständig, sachlich und verständlich informieren,
●   in freier Diskussion zur Meinungsbildung beitragen und
●   mit Kritik und Kontrolle durch nachforschenden und aufdeckenden Journalismus begleiten.
        Bundeszentrale für politische Bildung

Recherchen im Auftrag der Gesellschaft

Journalismus soll Transparenz herstellen, Erkenntnisgewinn schaffen, Macht hinterfragen und Missstände aufdecken. Sie sollen Informationen anbieten, die für das Leben der Menschen von Bedeutung sind. Einfacher gesagt: Die Hörer, Zuschauer und Leser sollen sich mithilfe von Radio und TV im Leben besser orientieren können. Dies ist auch der Auftrag der Gesellschaft an den SR. Im Kern geht es bei der Frage nach der Qualität um folgende Kriterien:
●   Wie umfassend informiert der SR?
●   Wie trägt er zur Meinungsbildung bei?
●   Gelingt es ihm, Themen zu setzen?
●   In welchem Ausmaß übt er Kritik und Kontrolle aus?

Die täglichen Informationsschnipsel können die Realität nicht abbilden

Nachrichten-Journalisten arbeiten in der Hektik des täglichen Nachrichtengeschäfts. Eine Flut von News- und Agenturangeboten, Presseerklärungen, -konferenzen und -terminen landen auf den Redaktionstischen. Die Redakteure müssen selektieren.  Sie „bringen“ in knappster Form das, von dem sie annehmen, dass es den Stereotypen und der Erwartungshaltung ihrer „normalen“ Konsumenten entspricht, Informationsschnipsel.

Die Auswahl der Themen erfolgt subjektiv. Das hat Folgen für die Medienkonsumenten: Sie hören und sehen, was die Redakteure meinen, was die Menschen im Land wissen sollen. Kurz: Wer den SR hört, sieht oder liest, bekommt kein umfassendes Bild der Realität, er weiß bestenfalls, was der SR gesendet oder online gestellt hat. Um es mit Karl Valentin zu sagen:

„Es ist erstaunlich, dass auf der Welt jeden Tag grad so viel passiert, wie in eine Zeitung passt.“

Oder in die Info-Nachrichten, die Magazin-Sendungen oder die Online-Zeitung des SR, wäre zu ergänzen. Von Stau- und Blitzermeldungen, Wetteraussichten bis zu den Infonachrichten, Aktuellem Bericht und Aktuell-Sendungen bieten die SR-Redaktionen das Kurze, Knappe, Kursorische an, meist ohne eigene Recherche. Gefühlt macht es 90 Prozent der Informationsangebots aus.  

Informationen aus der Perspektive der Lobbyisten

Im Saarland ist das Verhältnis zwischen den Medien und den Lobbyisten in Politik, Kammern und Verbänden nicht von Distanz und Skepsis geprägt. Diejenigen, die Einfluss haben, machen diesen auch in den Medien geltend. Sie bestimmen die Themen und die Richtung des öffentlichen Disputs. Die Pressestellen der Ministerien bekommen mehr Personal, insbesondere für Social-Media-Aktivitäten, mit denen sie eine Art Staatsfunk betreiben. Verbände beschäftigen ein Heer von PR-Profis, die ihre Info-Wünsche sendefertig den Redaktionen anpreisen. Daraus werden dann in der Regel Nachrichten und Berichte, systembedingt aus der Perspektive der Lobbys.

Thomas Kleist hatte als Intendant eine typisch saarländische Vorstellung über die Einbettung des SR in das System Saarland: „Die Politik braucht den SR und der SR braucht die Politik.“ Heute, fast beschwörend, tönt der SR-Claim: „Ein Land. Ein Sender.“ Dies meint: Den Themenkalender der Redaktionen gestaltet die Politik maßgeblich mit.

Die Politik und die Rituale der Berichterstattung

Montags wird das SR-Mikrophon für die Landtagsfraktionen aufgestellt. Dienstags präsentieren Staatskanzlei und Ministerien ihr großes Wochenthema, das die Redaktionen dann für Radio und TV veredeln. Mittwochs läuft im Regionalprogramm bisweilen ganztags die Live-Übertragung aus dem Landtag. An anderen Tagen kommen die elf Landtagsausschüsse zu Wort, außerdem Pressemitteilungen und Anregungen zur gefl. Berichterstattung. Berichtspflicht besteht für die Redaktionen auch nach Hintergrundgesprächen, Sommerinterviews, Sommertouren der Ministerpräsidenten und ihrer Minister, Pressefrühstücken, Redaktionsbesuchen- allesamt so organisiert, dass die Politiker die Themen und den Diskussionsrahmen setzen können. Die Veranstalter behalten so die Deutungshoheit. Kein ARD-Sender opfert dafür so viel Sendezeit, brüstete sich der SR in einem früheren „Bericht an die Öffentlichkeit“. Die dem System Zugehörigen mögen dies als Chronisten-Leistung nach Art des Nachrichten-Senders Phönix gutheißen. Andere sagen, die politische Berichterstattung des SR atmet den Geist des Amtlichen Anzeigers. Zudem werden gerne Personen in den Vordergrund gerückt, die Inhalte selbst und ihr Disput sind nicht selten Nebensache. Solche Rituale sind nicht unüblich.

Der Elitenforscher Michael Hartmann („Die Abgehobenen“) sieht in der „verzerrten Wahrnehmung und Themensetzung“ den Grund, warum „viele Bürger sich durch die Berichterstattung nicht mehr vertreten“ fühlen. Er sagt:

In den letzten Jahren hat dieser schon länger existierende Eindruck durch drei Ausnahmeprobleme noch mal spürbar zugenommen, die Corona-Pandemie sowie die Kriege in der Ukraine und in Gaza. Die Medien präsentieren fast ausnahmslos die offizielle Sichtweise der Regierung, während eine beachtliche Minderheit der Bevölkerung das ganz anders sieht. Diese Menschen fühlen sich in den Medien nicht mehr berücksichtig.  
Interview mit dem Magazin Cicero Dezember 2023                                                  

Wenig Sendezeit für den Kernauftrag Information

Dies gilt in der großen Politik wie auch in der kleinen, regionalen Berichterstattung. Die SR-Redaktionen würden sicherlich mit mehr Substanz berichten, wenn Sie denn dürften. Sie bekommen aber für die stündlichen Info-Nachrichten aus aller Welt nur wenige Minuten Sendezeit; das reicht zum Beispiel auf SR 1 und SR 3 gerade mal für acht bis zehn Themen aus aller Welt und der Region, aus Kostengründen auf allen Wellen wortgleich. Dazu Kurz-Statements, Stau- und Blitzermeldungen, mit häufigen Wiederholungen aber wenig Erkenntnisgewinn. Vertiefende Berichte, Hintergründe und Kommentare schieben die Programmmacher auf Sendeplätze mit marginaler Reichweite, auf die Kulturwelle SR 2 (mit 3.000 Hörern in der Stunde), auf abends und aufs Wochenende.

Wenig Eigeninitiative der Redaktionen verursachen Informationsdefizite

Orientiert an seinem gesellschaftlichen Auftrag lässt sich die Informationsleistung des SR so charakterisieren:
Das Informationsangebot minimalistisch, spiegelt nicht die Realität wider, stellt keine Transparenz her.
▪ Für journalistische Eigeninitiative steht wenig Sendezeit zur Verfügung.
Vieles, was für Land und Leute von Bedeutung ist, findet nicht den Weg in die Öffentlichkeit.
▪ Dadurch entstehen bei den SR-Konsumenten große Informationsdefizite.
▪ Der SR erfüllt seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag nur unzureichend.

Viel Personal, das mehr Output bringen könnte

Der SR-Hörfunk bietet mit seinen 156 festangestellten und 83 freien Redaktionsmitarbeitern wahrlich keine aufsehenerregende Performance. Radio Salü, das der Reichweite von SR 1 nichts nachsteht und an dem der SR dank Rundfunkbeitrag immer noch mit 20 Prozent beteiligt ist, kommt mit 16 Moderatoren und Redakteuren aus. SR 1 benötigt 51, mehr als das Dreifache. Ein solcher Abstand in der Personalausstattung macht sich im Qualitätsunterschied der beiden Wellen allerdings nicht bemerkbar.

Aber Intendant, Rundfunk- und Verwaltungsrat und die Politik sehen keinen Handlungsbedarf. Das System funktioniert zur Zufriedenheit der Beteiligten. Wer will da schon Veränderungen?  Der SR zeichne sich „durch hohe Informations- und Nachrichtenkompetenz“ aus, stehe für „unabhängige, ausgewogene und qualitativ hochwertige Berichterstattung“. Das sei Qualitätsjournalismus. So das Narrativ vom Halberg. Einen Vergleich haben die SR-Hörer, Zuschauer und der Rundfunkrat eh nicht.

Quellen:
ARD-Gremienboss nimmt Politik den Reformwillen nicht ab
Die zehn Punkte des Zukunftsrats des ÖRR
Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) -Bericht 2023

Im nächsten SR-Beitrag
Informationen frisieren, Probleme maskieren: Der SR und seine heile Welt

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