Die Krankenkassen machen den Arbeitskräftemangel für die Überlastung der Beschäftigen verantwortlich.
Die Saarländer sind häufiger, schwerer und länger krank als die übrigen Westdeutschen. Dem Land und seiner Wirtschaft entsteht dadurch ein Milliarden-Schaden. Über lange Arbeitsunfähigkeiten als Standortfaktor und Branchen-Auffälligkeiten. Saarlandinside-Gesundheitsreport Teil IX.
Ein hoher Krankenstand kann schon mal ein Grund sein, wenn Investoren sich für oder gegen den Fortbestand eines Werkes entscheiden. So sei die hohe Krankenquote unter den 4.700 Beschäftigten ein Grund für Ford gewesen, die E-Autos in Valencia zu bauen und in Saarlouis mehrere tausend Arbeitsplätze zu streichen, wurde am Rande einer Pressekonferenz zur Ford-Schließung geraunt.
Krankenstand 25 Prozent über Bundesniveau
Ford wäre auch kein Einzelfall. Die gesamte saarländische Wirtschaft ist von überdurchschnittlich häufigen und langen Krankmeldungen befallen. Je nach Krankenkasse liegt der Krankenstand zwischen 6,3 und 7,2 Prozent. Das heißt: Von den 392.100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Land fallen dauernd an die 30.000 krankheitsbedingt aus. Das sind bis zu 25 Prozent mehr als im Bund.
Die höchsten Krankenstand haben mit jeweils mehr als 9 Prozent die Öffentliche Verwaltung und der Ver- und Entsorgungssektor. Sie liegen 30 Prozent über dem Saarland-Mittelwert für alle Branchen. Über die niedrigste Quote freuen sich mit 5,1 Prozent die Dienstleistungsunternehmen.
Die meisten Fehltage pro Beschäftigten
Hoher Krankenstand und längere Dauer der Arbeitsunfähigkeitsfälle treiben die Zahl der Fehltage hoch. Auch da fällt das Saarland unter den West-Bundesländern auf. Hierzulande macht jeder Beschäftigte – je nach Krankenkasse – zwischen 22 und 26 Tage krank, bis zu drei Tage länger als der Normaldeutsche. Das Institut der deutschen Wirtschaft (iwd) meldet für das Saarland 26,1 Fehltage, 3,5 Tage mehr als im Bund. Laut der AOK-Auswertung 2023 sind im Saarland die Öffentliche Verwaltung mit 34 Tagen, die Ver- und Entsorgungsbetriebe mit 33 Tagen und das Gesundheits- und Sozialwesen mit 29 Tagen die Branchen mit den längsten Ausfallzeiten pro Versicherten. Besonders lange Krankenscheine machen auch die Mitarbeiter in Alten- und Krankenpflege, Bus- und Bahnbetrieben, Stadtwerken und Entsorgern, Post- und Kurierdiensten. Am besten schneiden Banken und Versicherungen, Medien und Information, Wissenschaft und Forschung ab.
Eine Million krankheitsbedingte Fehltage mehr
19 bis 26 Tage Krankenschein pro Mitarbeiter türmen sich bei insgesamt 392.100 versicherungspflichtig Beschäftigten auf insgesamt mehr als 10 Millionen AU-Tage. Herrschten im Saarland die gesünderen bundesdurchschnittlichen Verhältnisse (24,5 AU-Tage), würden 700.000 Tage weniger zu Buche schlagen, die Krankmeldungen ohne „gelben Schein“ nicht einmal mitgerechnet. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IWD) gibt an, 28 Prozent der Beschäftigten würden ein bis drei Tage krankmachen. Soweit die Zahlen der AOK. Mit den Daten von DAK, BARMER und TK käme man auf mehr als 1 Million zusätzliche Fehltage, mit den Angaben des IWD auf 1,4 Millionen. Zwar lassen sich die Analysen der Krankenkassen wegen unterschiedlicher Mitgliederstrukturen nicht auf die Stelle hinterm Komma vergleichen. Sie sagen aber: Kein Westbundesland hat mit der Arbeitsunfähigkeit so große Probleme wie das Saarland und seine Wirtschaft.
Mehrere Hundert Millionen Euro Mehrkosten für das Land
Die hohe Arbeitsunfähigkeit belastet das Land und seine Wirtschaft massiv. Der finanzielle Schaden durch die Ausfallzeiten lässt sich in Euro bewerten. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) hat Eckdaten zu den volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. Danach kostet ein AU-Fehltag durchschnittlich 133 Euro an Lohnkosten und 233 Euro für den Verlust der Bruttowertschöpfung. Zwischen den Branchen gibt es deutliche Unterschiede. So errechnet sich mit den bundesamtlichen Kostensätzen ein Saldo von 300 bis 400 Millionen Euro, den Land und Wirtschaft wegen überdurchschnittlich vieler Krankenscheine zusätzlich tragen müssen.
Infos: Arbeitsunfähigkeit im Saarland
Die meisten Fehltage pro „gelben Schein“: Saarland mit 12,8 Tagen Spitzenreiter im Westen (Bund 11,3 Tage). In der Land- und Forstwirtschaft, Ver- und Entsorgung und in der öffentlichen Verwaltung fallen sogar 2,5 Tage mehr an (AOK). Ähnliche Relationen bei BARMER und TK. Laut AOK dauert die AU in den Kreisen Merzig-Wadern, Neunkirchen und St. Wendel besonders lange.
Die meisten Krankmeldungen nach Branchen: Mindestens einmal im Jahr arbeitsunfähig melden sich 63 Prozent der Saar-Beschäftigten (Krankenquote).
▶ Öffentliche Verwaltung (Bund, Land, Kommunen) 76 Prozent,
▶ Gesundheits- und Sozialwesen 72 Prozent,
▶ Ver- und Entsorgung 71 Prozent,
▶ Erziehung und Unterricht 70 Prozent (AOK).
Die geringste Krankheitslast haben Banken und Versicherungen, Land- und Forstwirtschaft und Dienstleistungsbranche (BARMER). Dort kommt jeder zweite Arbeitnehmer ohne Krankenschein durchs Arbeitsjahr.
Die häufigsten Krankheiten sind Erkrankungen der Atemwege, des Muskel-Skelett-Systems und der Psyche. Wobei Atemwegserkrankungen sich von 2021 auf 2022 verdoppelt bis verdreifacht haben. Ein Effekt der Nachcoronazeit, sagen die Kassen. Mit dem Wegfall der Maskenpflicht haben sich die Viren ab April 2022 wieder stärker verbreiten können.
Die meisten AU-Tage in der öffentlichen Verwaltung: Dort verursachen Atemwegserkrankungen, orthopädische und psychische Leiden die meisten Krankheitstage. Die Branchen Öffentliche Verwaltung, Ver- und Entsorgung, Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung sind im Saarland deutlich krankheitsanfälliger als im Bundesschnitt, die Öffentlichen Verwaltung bis zu 50 Prozent.
Ursachen liegen in den Betrieben
Die saarländische Politik erklärt bisweilen die hohe chronische Krankenlast und die schlechte gesundheitliche Konstitution der Saarländer als Folge des rauen und menschen- und umweltbelastenden Wirtschaftens der Schwerindustrie. Die aktuellen Daten und Analysen der Krankenkassen zeigen das Gegenteil. Sie machen eher die schlechten Rahmenbedingungen in der Saarwirtschaft dafür verantwortlich. Wo Arbeitskräfte fehlen, steigt der Druck auf die Mitarbeiter. Hinzu kommen mangelnde Führungs- und Motivationskompetenz, Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitarbeiter und an Wertschätzung für sie. Nirgendwo werden so viele psychisch krank wie im Saarland.
Imageschaden für das Land
Überdurchschnittliche Krankenstände drücken weiter auf die Produktivität und die Leistungsfähigkeit der Saarwirtschaft und des öffentlichen Sektors. In den Wirtschaftsverbänden anderer Regionen ist der Makel sehr wohl bekannt. Dass dadurch ein hoher Imageschaden entsteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Dagegen kommen auch die Hunderte Millionen Euro schuldenfinanzierter Ansiedlungsprämien der Landesregierung nicht an.
Saarlandinside wird über die Ursachen des hohen Krankenstandes und Ansätze im Gesundheitsmanagement in der Saarwirtschaft berichten.
Quellen:
Gesundheitsbericht 2023 Saarland: Fehlzeiten der AOK-Mitglieder
DAK-Gesundheitsreport 2023. Analyse der Arbeitsunfähigkeiten. Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck
BARMER Gesundheitsreport 2023, Risikofaktoren für psychische Erkrankungen
Die Techniker: Gesundheitsreport Arbeitsunfähigkeiten 2024
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2022
Der Krankenstand in Deutschland. Institut der deutschen Wirtschaft 2024
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