Ein Debakel, das nach 25 Jahren keiner sehen will: Die Saarbahn ist ca. 170 Millionen Euro teurer geworden und hat nur halb so viele Fahrgäste wie anfangs berechnet. Wie sich Politiker und Kommunalmanager ein Denkmal setzen und dabei Millionen leichtfertig verschwenden. Langzeitanalyse.
Die Neuerfindung des öffentlichen Verkehrs
Was war das ein Bohei um die Saarbahn in den 90er Jahren. Verkehrsplaner und Politiker des Landes bauten an einem „Rückgrat des saarländischen ÖPNV“, einem für das Land epochalen verkehrs- und strukturpolitischen Projekt. Sie war quasi die Neuerfindung des öffentlichen Verkehrs. Das Konzept einer modernen Stadtbahn war auch überzeugend. In der Landeshauptstadt würden täglich 90.000 Menschen ihr Auto stehen lassen. Und die Autopendler aus dem Einzugsbereich Nordsaarland würden in Lebach und die Frankreich-Pendler in Saargemünd auf die Saarbahn-Linie 1 umsteigen. Die Saarbahn-Geschäftsführung rechneten mit 25 Millionen Fahrgästen im Jahr.
Landespolitiker von sich begeistert
Die Saarbahn-Verantwortlichen bei der Stadtverwaltung und der Saarbahn unterlegten die Pläne mit positiven Kosten-Nutzen-Analysen. Die Saarbahn werde so erfolgreich, dass sie keine Zuschüsse für den Betrieb benötige. In ihrer Euphorie planten schon Stadt und Land vom „Rückgrat“ ausgehend weitere Saarbahn-Adern nach St. Wendel und St. Ingbert, nach Luxemburg und Lothringen. Das Saarland als Nabel der Verkehrswelt – und bundesweit endlich einmal vorn. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) warnte schon 1999 die Landespolitiker vor einer „Saarbahn-Trance“.
Misswirtschaft und 14 Jahre Verspätung
Die Saarbahn hätte durchaus ein Modellprojekt werden können. Aber Fehlplanungen und unerwartete Bauprobleme verzögerten die Fertigstellung um 14 Jahre. Hinzu kommt eine gravierende Misswirtschaft. „Provisorisch, dilettantisch, unprofessionell“, urteilte der Arbeitgeberverband der Bauwirtschaft über das Saarbahn-Management.
Nicht mal die Hälfte der kalkulierten Fahrgäste
Das Verkehrsministerium hat es über die Jahre auch versäumt, mit zielgerichteter ÖPNV-Planung und schlüssigem Marketing das Saarbahn-Angebot attraktiv zu machen. So fahren heute auf der Linie S1 nur 13 Millionen Fahrgäste statt der einstmals kalkulierten 25 Millionen. Für das Stadtgebiet Saarbrücken wurden 90.000 Saarbahn-Kunden täglich prognostiziert, es sind nicht mal halb so viele. Ab Saargemünd fahren heute täglich 350 Pendler. Offenbar waren bei der Kosten-Nutzen-Analyse die Kosten zu niedrig und der Nutzen schön gerechnet worden.
Hohe Defizite im Betrieb
Hohe Kosten und ausbleibende Fahrgäste führen auch zu hohen Defiziten im Betrieb. Dafür muss der Steuerzahler jährlich mit 8,5 bis 9 Millionen Euro aufkommen. Einen solchen Ausgleich hatte die Landesregierung in den 90er Jahren noch resolut abgelehnt. Die Beschlüsse hielten aber nicht lange. Erst war das Finanzloch auf der schwachen Saargemünd-Strecke, ab 2014 das auf der noch schwächeren Lebach-Strecke zu stopfen.
176 Millionen Euro teurer als geplant
Dabei haben Stadt und Land die Ausbaustufe I nicht einmal fertiggebaut. Diese von Bund und Land mit zusammen 90 Prozent geförderte Ausbaustufe I sah zwei Linien vor, die S1 zwischen Saargemünd und Lebach und die S2 nach Neuscheidt und nach Burbach. Anfängliche Gesamtkosten 267 Millionen Euro. Realisiert wurde aber nur die S1. Sie allein hätte nach Preisen von 1995 knapp 27 Millionen Euro gekostet. Landesregierung und Landeshauptstadt haben die Millionen in der Linie S1 verschwurbelt. So sind die Baukosten ohne die Linie S2 um 149 Millionen Euro gesprungen. Dies lässt sich der aktuellen Kostenaufstellung im Landeshaushalt 2019 entnehmen. 27 Millionen Euro für die gekappte S2 plus 149 Millionen Euro für gestiegene Baukosten, alles in allem wird die geschrumpfte Saarbahn 176 Millionen teurer geworden sein als geplant.
Überbrückung eines Nichts
Mehr als zehn Millionen Euro in die Luft gebaut: Der höhere Neubau der Bahnbrücke am Römerkastell war überflüssig, weil nie eine Saarbahn drunter durch fahren wird. Die geplante Linie S2 nach Neuscheidt fiel den Kostensprüngen bei der S1 zum Opfer.
Bund will Millionen an Zuschüssen zurück
Wegen der nicht gebauten S2 wird der Bund wohl auch einige Millionen an bereits geflossenen Zuschüssen zurückfordern. Der Grund: Teile der Infrastruktur sind überflüssig oder überdimensioniert.
► Die Bahnbrücke am Römerkastell ist nur aus dem Grund höher gebaut worden, um die S2 drunter durch nach St. Ingbert fahren zu lassen. Die Saarbahn-Gesellschaft rechnet allein hier mit Rückforderungen des Bundes von 6,8 Millionen Euro. Hinzu kommen die Kostenanteile von Stadt und Land, nochmals mehrere Millionen.
► 1,5 Millionen Euro will der Bund wegen unnötiger Bauanlagen am „Saardamm“ an der Josefsbrücke Richtung Malstatt zurück.
► Überdimensioniert ist auch die Saarbahnwerkstatt. Sie ist für 42 Züge gebaut, Saarbahn hat nur 28 angeschafft. Laut Rechnungshof ein Schaden von knapp 1 Million.
► Noch größer dürfte der Wertverlust beim zentralen Saarbahnhof vor dem Hauptbahnhof sein. Auch er ist auf zwei Saarbahnlinien ausgelegt und damit erheblich zu groß.
Eine Mini-Strecke für 80 Millionen Euro
Ein Paradebeispiel für wirtschaftliche Leichtfertigkeit ist die Mini-Strecke zwischen Heusweiler Markt und Lebach. Die 9 Kilometer-Trasse über ein Viadukt und durch einen Tunnel hat alleine 80 Millionen Euro gekostet. Die Fahrgäste sind fast ausschließlich die Zwangskunden des Schülerverkehrs. Eine Zählung ergab 37 Fahrgäste pro Fahrzeug. Die würden auch bequem in einen Bus passen. Das absurde: Diesen Bus, die Linie R9 von Lebach nach Saarbrücken, hatte die Landesregierung 2014 stillgelegt, um der Saarbahn Fahrgäste zuzuschieben. Die R9 war nicht nur 11 Minuten schneller, ein Privatunternehmen betrieb sie ohne einen Cent Zuschuss. Die Saarbahn hingegen kassiert für diesen Streckenteil vom Steuerzahler drei Millionen Euro jährlich.
Lass fahren dahin!
Als gäbe es keine 14jährige Verspätung und keine 176 Millionen Euro Teuerung: Am 5. Oktober 2014 ließen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und OB Charlotte Britz (SPD) den Zug auf die Strecke zwischen Heusweiler und Lebach abfahren. Die Fahrgäste bleiben aus.
„Die Saarbahn ist eine nachhaltige Investition für unser Land. Für die Bürgerinnen und Bürger von Lebach steht ab jetzt eine attraktive und zukunftsweisende Alternative zum Auto zur Verfügung.“
Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Festakt zur Freigabe der Lebach- Strecke am 5. Oktober 2014
Lesen Sie den zweiten Teil über das Debakel bei der Saarbahn:
Saarbahn-Millionen fehlen für den Busverkehr auf dem Land
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