Seit Jahrzehnten überzieht die Stadtautobahn mit einem krankmachenden Lärmteppich die Saarbrücker Innenstadt, Naherholungsflächen und Spielplätze. Statt zu handeln lassen die politisch Verantwortlichen immer neue Gutachten erstellen. Und die Menschen bekommen’s weiter auf die Ohren. Schlecht für die Lebensqualität in der Landeshauptstadt.
Bis zu 94.000 Fahrzeuge täglich
Als am 14. Dezember 1963 die Stadtautobahn in Saarbrücken eröffnet wurde, hätte man die sich abzeichnenden Probleme bereits ahnen können. Denn in den wenigen Jahren seit den ersten Planungen in den Nachkriegsjahren bis zur Freigabe hatte sich das Verkehrsaufkommen drastisch erhöht. Doch in Zeiten des Wirtschaftswunders wurde die innerstädtische Schnellstraße nicht als störend, sondern als Segen empfunden. Heute ist das anders: Mit bis zu 94.000 Fahrzeugen pro Tag ist die A 620 die am stärksten befahrene innerstädtische Straße im Saarland und ein gravierender Störfaktor für Bewohner der Stadt und Besucher der ufernahen Grünflächen und Spielplätze.
Bürgerinitiativen mit neuem Vorstoß
Seit Jahren laufen Bürgerinitiativen und Umweltverbände Sturm gegen Lärm und Abgase. Doch es ist erstaunlich, mit welcher Ignoranz Kommunal- und Landespolitiker sowie der Bund als Träger der Autobahnen sich immer wieder wegducken und die Dinge laufen lassen. Der BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland) unternimmt zum Tag gegen den Lärm am 28. April noch einmal einen Vorstoß. „Lärmschutz jetzt! Den Menschen und der Umwelt zuliebe“, heißt die Devise.
Der BUND sagt, wie’s gehen könnte
Tempo 60 zwischen Kreisel St. Arnual und Gersweiler Brücke, Einbau von Flüsterasphalt und Lärmschutzwände zwischen St. Arnual und Wilhelm-Heinrich-Brücke sowie Begrünung der Stützmauer unterhalb des Schlosses – das sind die Hauptforderungen des BUND. Unverständnis ruft auch das mäandernde Tempolimit ab der Bismarckbrücke stadtauswärts hervor: Hier darf plötzlich 120 statt 80 gefahren werden, mitten in der Stadt. Was zu Beschleunigung und zusätzlichem Lärm genau gegenüber dem Staden führt. Und dies bei Ein- und Ausfahrten in kurzen Abständen, wo wiederum andere Höchstgeschwindigkeiten gelten. Ab Dreieck Saarbrücken dann generell Tempo 100 bis zur Fechinger Talbrücke. Zuständig für diesen unsinnigen Tempowechsel: der Landesbetrieb für Straßenbau, seit dem 1. Januar 2021 die Autobahn GmbH des Bundes.
Tempo 120 direkt an der Wohnbebauung. Das Naherholungsgebiet Staden und der große Spielplatz liegen nur hundert Meter entfernt auf der anderen Saarseite, ohne Lärmschutz. Foto: Volker Hildisch
Statt Bauarbeiten ein neuer Arbeitskreis
Die Geduld über die Tatenlosigkeit der Verantwortlichen ist beim BUND mittlerweile am Ende. Seit die Pläne einer Übertunnelung der Stadtautobahn zwischen Bismarck- und Luisenbrücke sowie dem Einbau von Schallschutzwänden gegenüber dem Staden begraben wurden, ging es nach der Devise „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“ weiter. Der wurde 2018 gebildet aus Vertretern der Stadt (damals SPD geführt) und des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr (SPD geführt). Das wiederum war bis Ende 2020 auch Fachaufsicht über den Landesbetrieb für Straßenbau, der im Auftrag des Bundes für die Instandhaltung der A 620 zuständig war. Für Tempolimits wiederum ist nach Aussage des Wirtschaftsministeriums das Innenministerium (CDU geführt) der zuständige Ansprechpartner. Herausgekommen ist in drei Jahren allerdings kein Vorschlag für mehr Lärmschutz, sondern: der Auftrag für ein neues Gutachten bei der Firma Modus Consult (Bruchsal).
Die Gutachten liegen schon lange vor
Dabei gibt es schon etliche Gutachten, in Auftrag gegeben und bezahlt von der Stadt Saarbrücken. Aus dem Jahr 2015 gleich zwei. Prof. Kerstin Giering vom Umweltcampus in Birkenfeld erwähnt im „Lärmaktionsplan Saarbrücken“ die Stadtautobahn auf 136 Seiten allerdings mit keinem Wort. Begründung: die A 620 zähle nicht zur kommunalen Baulast der Landeshauptstadt. Und wo kein Lärm ist, braucht man dann offenbar auch keinen Plan.
Verkehrsentwicklungsplan: „gravierende Lärmquelle“
Im „Verkehrsentwicklungsplan 2030“ aus demselben Jahr dagegen heißt es klipp und klar. “Sie (die A 620) stellt insbesondere im Abschnitt zwischen Malstätter Brücke …und dem Ende von St. Arnual…eine so gravierende städtebauliche Zäsur und Lärmquelle (über 80 dbA) mit daraus resultierenden massiven Trennwirkungen dar, dass sie als nicht verträglich zu beurteilen ist.“
BUND misst Spitzenlärmwerte
Papier ist bekanntlich geduldig. Weil vier Jahre lang nichts passierte, stellte der BUND 2019 auf der alten Brücke eigene geeichte Messungen an. Ergebnis: tagsüber im Durchschnitt 78 bis 80 dBA sowie Spitzenwerte von 90 dBA. Ein höllischer Lärm! Um die Gesundheit zu schützen, sollte nach der aktuellen Verkehrslärmschutzverordnung im Bundesimmissionsschutzgesetz ein Mittelungspegel von 70 dB(A) am Tage und 60 dB(A) in der Nacht nicht überschritten werden.
Messungen interessieren die Behörden nicht
Das Problem dabei: es gibt keinen Rechtsanspruch auf Lärmschutzmaßnahmen, wenn diese Werte überschritten werden. Als der BUND im August 2020 in einem Gespräch mit Vertretern von Stadt und Wirtschaftsministerium die eigenen Messergebnisse vorlegte, hieß es vom Landesbetrieb für Straßenbau lapidar: Das interessiert uns nicht, wir dürfen nur errechnete Werte berücksichtigen.
Viel Lärm um Lärmschutz im OB-Wahlkampf
Hoffnung keimte auf, als im OB-Wahlkampf der CDU-Kandidat Uwe Conradt das Thema Lärmschutz für sich entdeckte. Es sei viel zu lange und zu viel geredet worden, nun müsse gehandelt werden. „Lärmschutzwand, Tempolimit und Flüsterasphalt sowie andere geeignete Maßnahmen wollen wir mit dem Bund besprechen. Hier brauchen wir Offenheit und Unterstützung für dieses wichtige Anliegen.“ Beim BUND wurde man hellhörig. Doch herausgekommen ist bisher nur ein Brief Conradts an die Autobahn GmbH, was sie denn wohl von seinen Vorstellungen halte. Ob es darauf bereits eine Antwort gibt, das konnte die Pressestelle der Stadt in drei Wochen nicht beantworten.
Die SPD wird nach 40 Jahren hellhörig
Plötzlich wurde auch die SPD-Fraktion im Saarbrücker Stadtrat munter. „Es ist uns ein großes Anliegen, den Lärmschutz an der Stadtautobahn zu verbessern“, so der verkehrspolitische Sprecher. Allerdings war in den vergangenen 40 Jahren, als die SPD mit Oskar Lafontaine, Hans-Jürgen Koebnick, Hajo Hoffmann und Charlotte Britz das Stadtoberhaupt stellte, von diesem Anliegen nicht viel zu spüren.
Kinder, Spaziergänger, Biergarten-Besucher dem Lärm ausgesetzt
Und so sind Spaziergänger und Besucher der Biergärten, aber insbesondere die Kinder auf dem beliebten Spielplatz am Saarbrücker Staden weiterhin dem ungehinderten Lärm der Stadtautobahn ausgesetzt. Und man hätte nicht gedacht, dass diese Zumutung noch zu toppen wäre. Aber doch, es geht. Und das Amt für Stadtgrün und Friedhöfe der Stadt Saarbrücken ist maßgeblich daran beteiligt.
Wer wollte hier seine Kinder spielen lassen. Der neu angelegte städtische Spielplatz in St. Arnual, 20 Meter neben der Stadtautobahn, mit dem Dauerlärm, der dem eines Presslufthammers oder einer Kreissäge entspricht. Bis zu 90.000 Fahrzeuge donnern vorbei. Foto: Volker Hildisch
Stadt baut Kindergarten direkt an der Stadtautobahn
Am St. Arnualer Ufer der Saar, unterhalb der Stiftskirche, gab es jahrelang einen Spielplatz. Der musste im vergangenen Jahr einer neuen Gasfernleitung der Firma Creos weichen. Die erklärte sich auch bereit, einen neuen Spielplatz zu finanzieren. Doch anstatt diesen auf die andere, durch Lärmschutzwände geschützte Seite der Stadtautobahn zu verlegen, wurde er an der alten Stelle wieder errichtet. 20 Meter von der Stadtautobahn entfernt, ohne Schutz für die Kinder vor Lärm und Abgasen. So sehr hat man sich offenbar schon an die Stadtautobahn gewöhnt.