Einbruch bei den Busfahrgast-Zahlen

Warum im Saarland immer mehr Kunden aus dem ÖPNV aussteigen –  Ein Grund: Zu teuer.  

Dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Saarland kehren immer mehr Kunden den Rücken: Minus 20 Prozent seit 2008. Entgegen dem Bundestrend von plus 5,3 Prozent. Ein Grund: In kaum einem anderen Bundesland oder Verkehrsverbund ist der umweltfreundliche Nahverkehr so teuer und so ineffektiv wie im Saarland. Was geht da (nicht) ab?

Die aktuellen Zahlen der Verkehrsstatistik müssten den ÖPNV-Verantwortlichen im Verkehrsministerium und im VVSaar zu denken geben: Etwa jeder fünfte Fahrgast hat seit 2008, dem stärksten ÖPNV-Jahr im Saarland, den Bussen den Rücken gekehrt. Diese sind mit 60 Prozent der Beförderungsleistung wichtigstes Verkehrsmittel im Saarland; verglichen mit 2008 transportierten saarländische Unternehmen 2015 23 Prozent weniger Fahrgäste.

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Die ÖPNV-Busse auf Talfahrt
Die Talfahrt hält an. Laut Statistischem Landesamt kommt 2016 sogar ein starker Einbruch bei den Fahrgastzahlen: Zumindest im Vergleich der ersten Quartale von 2016 und 2015 sehen sie ein ÖPNV-Minus um weitere 25 Prozent. Lichtblick ist die Saarbahn mit einem Plus von 12,4 Prozent seit 2008, u.a. bedingt durch die abschnittsweise Verlängerung der Schienenstrecke bis Lebach. Der positive Saarbahn-Trend kann den Fahrgäste-Abgang bei Bus und Straßenbahn insgesamt aber nur auf 19,3 Prozent senken (Für den Zugverkehr der Bahnanbieter liegen keine aktuellen vergleichbaren Zahlen vor).

Eine Ursache Bevölkerungsentwicklung
Eine Erklärung ist die Bevölkerungsentwicklung, insbesondere den sinkenden Schülerzahlen: 14 Prozent, von 105.000 in 2008 auf 90.000 Ende 2015. Aber die Schülerzahlen gehen bundesweit zurück und trotzdem verzeichnet die umweltfreundliche Personenbeförderung mit Bus und Bahn bundesweit eine Zunahme um 5,3 Prozent (verglichen mit 2008), in Hessen sogar um 25 Prozent. Nur Schleswig-Holstein verbucht mit minus 25 Prozent Fahrgästen einen ähnlich starken Einbruch wie das Saarland.

Saarland ideales ÖPNV-Land
Dabei wäre das Saarland wegen der hohen Bevölkerungsdichte, einer überschaubaren Siedlungsstruktur und einer der bundesweit kürzesten durchschnittlichen Fahrzeiten zum Arbeitsplatz ein ideales ÖPNV-Land. Vor allem aber ist das Saarland ein Autoland; Politik, Verbände und Gewerkschaften haben über Jahrzehnte das kraftstoffgetriebene Fahrzeug als Leitprodukt und die Branche mit Ford, ZF, Bosch, Michelin, Schaeffler u.a. als Wirtschaftsmotor und Garant des Wohlstands der Region kultiviert. 18.193 Saarländern laut Statistischem Landesamt, 40.000 laut dem Lobby-Verband Automotive Saar, gibt die Branche Brot und macht mit 10,3 Milliarden Euro knapp ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts des Saarlandes aus.

Autoland Saarland – Wohlstand und Lebensgefühl
Bei so viel Auto-Suggestion spielt das Auto im Leben der Saarländer logischerweise eine herausragende Rolle. Die Pkw-Dichte ist so hoch wie in keinem Bundesland: Auf 1000 Einwohner kommen 622 Pkw, unter den Verdichtungsräumen Europas einer der höchsten Werte, knapp hinter Monaco und Liechtenstein. Häufiger als sonst wo besitzt die saarländische Familie zwei oder drei Pkw. Im Modal Split (Anzahl der Wege je Verkehrsmittel) liegt das Saarland mit 53 Prozent Autonutzung deutlich vor allen Bundesländern. Kein Wunder, dass das Auto das Lebensgefühl des Saarlandes verkörpert – auch gerne „oben ohne“:  Sechs Prozent der hierzulande zugelassenen Autos sind Cabrios, in Bayern sind es 20 Prozent weniger).

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Beim Radeln Schlusslicht
Wen wundert’s da: Der Durchschnittssaarländer hat auch wenig Lust auf Fortbewegung aus eigener Muskelkraft. Der Fahrradbestand ist im Saarland neben Thüringen am niedrigsten, die zurückgelegten Jahreskilometer per Rad sind mit großem Abstand die wenigsten: Der Saarländer strampelt im Jahr seine 87 Kilometer (Thüringen 143, Rheinland-Pfalz 241, Bremen 772), der Bundesdurchschnitt sitzt 401 Kilometer im Sattel. Der Radverkehrsanteil im Modal Split hat von 2002 bis 2008 (aktuell verfügbares Datenjahr) um 36 Prozent abgenommen (bundesweit Zunahme um 17 Prozent). Saarbrücken ist mit vier Prozent Radnutzung (bezogen auf die Anzahl der Wege, Stand 2014) Schlusslicht unter den Landeshauptstädten. Ähnlich sind die Relationen für die Zu-Fuß-Wege. Nachhaltige Mobilität mit Bus und Bahn hat im Saarland scheinbar wenig Chancen.

Selbst die Grünen machen sich für Autobahnen stark
Dass mit ihrem einstigen Leitthema „Umweltfreundlicher Nahverkehr“ im Saarland kein Sonnenblumentopf zu gewinnen ist, sehen auch die Saar-Grünen. Seit der Zeit von Umweltministerin Simone Peter ist der ÖPNV bei ihnen selten ein Thema. Der grüne Bundestagsabgeordnete Markus Tressel beklagte dieser Tage innerhalb einer Woche in zwei Pressemeldungen stattdessen den schlechten Zustand der Saar-Autobahnen und unzureichende Planungskompetenz im Saar-Straßenbau. Der Abgeordnete weiß, was Wähler wünschen…

Saar-ÖPNV mit hohen Ticket-Preisen
Die Tickets des Saar-ÖPNV sind auch ein gutes Stück teurer als die anderer Verkehrsverbünde im Südwesten. Beispiel Job-Ticket: Im Saarland kostet es für die Wabe Landeshauptstadt 51 Euro im Monat, im Verkehrsverbund Rhein Neckar nur 39,40 Euro, gilt dort aber als Gesamt-VRN-Netzkarte (von Homburg bis Würzburg 220 Kilometer, von Kusel bis Wörth 125 Kilometer). Beispiel Netzticket: Im Saarland als Bürger-Ticket für 127 Euro im Monat zu haben, im VRN-Gebiet für 81,80 Euro und im Rhein-Nahe-Nahverkehrsverbund (Gebiet von Neubrücke bis Wiesbaden 115 km, von Bacharach bis Worms 75 km) für 75 Euro. Ähnlich sind die Unterschiede bei den Ticketpreisen für Senioren; Auszubildende zahlen hier ähnlich viel wie in den Nachbarregionen.

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Die Zukunft liegt im eTicketing mit Smartphone
Das Tarifsystem des SaarVV bringt Ungereimtheiten mit sich. Das hängt damit zusammen, dass nicht die tatsächlich zurückgelegte Entfernung den Preis bestimmt, sondern die Anzahl der durchfahrenen Waben. So zahlt ein Auszubildender für die Strecke Wustweiler – Saarbrücken/Bübingen (32 km, 44 Minuten Fahrzeit) die Preisstufe 5, monatlich 69,63 Euro im Jahresabo, ein Schüler aus Kirkel-Limbach hat für die Fahrt zur Schule in St. Ingbert nur 17 Kilometer Strecke, zahlt aber denselben Preis. Der Rhein-Neckar-Verkehrsverbund macht’s moderner, hat den Smart-Tarif eingeführt. Der Kunde zahlt – wie im Taxi – nur die tatsächlich gefahrene Strecke und zwar mit dem Handy. Mit dem Programm „eTicketing und digitale Vernetzung im Öffentlichen Personenverkehr“ fördert der Bundesumweltminister solche Projekte bundesweit.  Es „wurde leider keine Projektskizze aus dem Saarland bzw. von saarländischen Verkehrsunternehmen eingereicht“, erklärt das Bundesministerium gegenüber Saarlandinside.

Für die hohen Kosten im Saar-ÖPNV gibt es mehrere Gründe. Darüber mehr in der nächsten Folge.

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Quellen:
Landesamt für Statistik: Beförderte Personen im Saarland vom 6.7.2016;
Bundesamt für Statistik: Fachserie 8, Reihe 3.1 (2016); Räumliche Mobilität und regionale Unterschiede, Auszug aus dem Daten-Report 2013;
Bundesministerium für Verkehr und digitale Entwicklung: Radverkehr in Deutschland Zahlen, Daten, Fakten; Difu-Bericht 4 4/2014; Mobilität in Deutschland (2008);
Kraftfahrbundesamt: FZ 4, Neuzulassungen von Pkw 2015;

Fotos: Fotolia (2), Bundesministerium für Verkehr und digitale Entwicklung