Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll mit seinen Programmen hauptsächlich die Demokratie-Fitness der Bürger fördern. So der Verfassungsauftrag. Im ARD-Vergleich bietet der Saarländische Rundfunk da am wenigsten.
Eberhard Schilling und Michael Friemel, die Ikonen der SR-Hauptabteilung Spaß und Events, hier auf einer Senioren-Hörerreise auf Mallorca. Screenshot: Saarländischer Rundfunk.
Das Angebot an Informationen, Service, Bildung und Kultur ist zunächst eine Frage der Arbeitsmöglichkeiten und der gesendeten Stunden. Und da fehlt es beim SR-Hörfunk an Masse. Der SR sendet auf vier Wellen im Jahr 35.000 Stunden. 22 Prozent davon sind Wortanteil, der niedrigste Wert aller ARD-Anstalten (siehe Grafik). Im Mittel kommen die ARD-Sender auf 37 Prozent. Zur Verdeutlichung dieses Defizits: Wollte der SR diesen ARD-Durchschnitt erreichen, müsste er pro Welle täglich dreieinhalb Stunden zusätzliche Wortbeiträge produzieren.
Saarländer öffentlich-rechtlich unterinformiert
Dabei wird ein Großteil der Wortsendungen mit Information und Bildung nur auf SR 2 gesendet. Diese Kulturwelle wird aber nur von 20.000 Saarländern täglich gehört, im Stundendurchschnitt von etwa 3.000. Hinzukommt, dass längere Interviews, Features, Magazin-Sendungen und Kulturbeiträge am Wochenende laufen und dann zum Teil in der Hörer-schwachen Zeit am Abend. Zum schwachen Output beim SR insgesamt kommt also noch eine sehr schwache Reichweite. Zudem hat SR2 nur rund fünf Prozent der Hörer von SR1 und SR 3. Man kann sagen, was öffentlich-rechtlich Substanz anbetrifft, sind die Saarländer unterinformiert.
Wir liefern exzellente Qualität… Wir bauen unsere Informationsangebote aus, um Menschen in der Fülle von Information und Desinformation bei der sicheren Orientierung im Alltag zu helfen.
Aus der Selbstverpflichtungserklärung der ARD
Übermaß an Unterhaltung verdrängt Informationsauftrag
Der kleine SR soll die audiovisuelle „Grundversorgung“ im kleinen Saarland sichern, d.h. relevante Themen mit einem öffentlich-rechtlichen Mehrwert aufarbeiten. Gefordert ist ein Qualitätsangebot aus sorgfältig recherchierten, authentischen und faktenbasierten Informationen für alle Hörerschichten. Sicher, der Sendeauftrag beschränkt sich nicht nur auf Berichterstattung. Auch Schlager, Volksmusik und Sport seien unerlässlich, weil sich nur so ein breites Publikum erreichen lasse, stellt der Zukunftsrat klar. Bei den SR-Medienmachern hat jedoch die Unterhaltung finanziell, technisch und personell einen solchen Stellenwert erreicht, dass für Aufklärung, Bildung, Information zu wenig Ressourcen übrigbleiben.
Damit der SR seinen Auftrag erfüllen kann, greifen ihm die anderen ARD-Anstalten massiv unter die Arme. Mit den 70 Millionen Euro aus Rundfunkbeiträgen der Saarländer allein kommt er nicht aus. Jedes Jahr spenden überwiegend die Beitragszahler des WDR, SWR, NDR und BR im ARD-internen Finanzausgleich 53 Millionen Euro an die Saar. Zusätzlich unterstützen WDR und SWR den SR mit Sachleistungen im Wert von mehr als 4 Millionen Euro. Weitere 4 Millionen an früheren Finanzhilfen der ARD muss der SR vorläufig nicht zurückzahlen.
Geplauder und Gags, Spaß und Spektakel
Hören wir mal bei SR1 und SR3 rein: halbstündlich SR-Infos, Stau- und Blitzermeldungen, mehrmals täglich ausführliche Wetter-Interviews, für die die Moderatoren mehr Worte machen als ihre Redakteurskollegen für die Nachrichten. Dazwischen Moderation mit viel menschelndem Geplänkel, Geplauder über Stars, immer Gags und gute Laune, Gewinnspiele, Hören, was ein Land fühlt, Saar Schwätz Maschine und die Vermarktung zahlreicher sinnfreier und anlassloser SR-Events und öffentlich-rechtlicher Volksfeste – unterm Strich Spaß und Ablenkung.
Juppheidi und Täterää beim Auftrieb zur SR-Sommeralm in Reden. Lokalprominenz und SR-Spaßvögel veranstalten ein Fest auf Kosten der Rundfunkbeitragszahler. Screenshot SR-Fernsehen
Ein falsches Bild von der Realität
Die durchgehende SR-Botschaft an die Saarländer klingt so: Seid einfach super drauf. Egal, was ist, egal was kommt. In Krisenzeiten wie diesen optimistisch zu bleiben, ist eigentlich eine gute Sache. Das bedeutet jedoch nicht, negative Dinge auszuklammern, sagen Psychologen. Damit würden nur die Symptome überdeckt, die eigentlichen Probleme aber bleiben oder würden noch größer, sagte Karl Gustav Jung, der bekannteste Psychiater nach Sigmund Freud. Wer ständig „positive minded“ ist, negative Fakten und Ereignisse verdrängt, bekommt ein falsches Bild von der Realität und kann krank werden. Psychologen nennen dies „toxische Positivität“.
Es vergiftet unser Leben, wenn wir uns ausschließlich auf das Schöne und Positive fokussieren.
Michaela Brohm-Badry, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung
Medienkritiker wie der Verleger Klaus Staeck bezeichnen die von den Privat-Sendern entwickelte Strategie, die Unterhaltung aufzublasen und das Informationsangebot zu verknappen, als „Verblödungsspirale“. Unterm Strich lässt allein die quantitative Betrachtung der Programme und Inhalte nur einen Schluss zu: Der Markenkern des SR sind Zerstreuung und Zeitvertreib. Die „Highlights“ des Sender-Marketings verstärken diesen Eindruck. Kurzum: Viel Firlefanz, zu wenig Relevanz.
„Stimmungsaufheller“ für ein gebeuteltes Land
Ablenkung und Erleichterung haben die Saarländer auch nötig. Land und Leute liegen in einem Stimmungstief.
● Hier sind die Krebs- und Sterberaten bundesweit die höchsten, die Krankschreibungen die längsten,
● Wirtschaftsleistung und Einkommen die niedrigsten,
● der Bevölkerungs- und Arbeitskräfteschwund dramatisch,
Kinderarmut und Drogenkonsum besonders belastend. Im Deutschen Glücksatlas 2023 gelten die Saarländer als sehr unglücklich. Hierzulande leben auch die meisten psychisch Erkrankten. Da kommt der Gute-Laune-Spender SR wie die tägliche Dosis „Stimmungsaufheller“. Der Zukunftsrat warnt vor solchen Entwicklungen:
“Derzeit stecken die Öffentlich-Rechtlichen in einer Abwärtsspirale: Alles geschieht in den gewohnten Strukturen, aber von allem ein bisschen weniger – schleichend auch weniger Substanz. Dieser Prozess erschöpft alle, er blockiert Kreativität und entmutigt viele gute Köpfe. Das macht das System auf Dauer kaputt.”
Lichtblicke SR-Online und SR 2
Wer nach konsistenten regionalen Hintergrundinformationen sucht, kann auf das wachsende Online-Angebot des SR hoffen. Die Kulturwelle SR 2 steht für mehr Substanz. Im Gegensatz zu SR 1 und SR 3 werden hier kritische Kommentare und aufklärerische Hintergrundberichte gebracht, Unterhaltendes natürlich auch. Aber SR 2 wird täglich nur von 26.000 Saarländern gehört (agma). Beim zweisprachigen Online-Angebot „Antenne Saar“ gibt es rund um die Uhr Nachrichten, auch in Magazinform von anderen Sendern. Zahlen über die Hörerreichweite und Zugriffsstatistiken lägen nicht vor, sagt der SR.
Folgt der SR dem Zeitgeist oder beeinflusst er ihn?
Unter-Haltung en masse. Sendet der SR damit dem Zeitgeist hinterher? Oder trägt die Entpolitisierung der Programme letztendlich mit dazu bei, dass einfache Denkmuster in der Gesellschaft radikal an Bedeutung gewinnen, Debatten mit größerer Härte geführt werden und die Parteienverdrossenheit zunimmt?
Allerdings wird es auch für die SR-Macher immer schwieriger, die Aufmerksamkeit ihrer Hörer auf gesellschaftliche relevante Themen zu fokussieren. Denn die Aufmerksamkeitsspanne der Mediennutzer sinkt. Die Popwelle SR 1 und die Regionalwelle SR 3 tendieren deshalb zu minimalistischer Pflichtberichterstattung. Das ist das Gegenteil dessen, was der Zukunftsrat fordert:
Insbesondere im Bereich der Information braucht es […] mehr Fakten und mehr Kontext. Das schafft Verständigung und Vertrauen […] Der Zukunftsrat empfiehlt deshalb eine deutlichere und nachdrücklichere Demokratie- und Gemeinwohlorientierung des Angebotsauftrags mit dem Ziel, die Öffentlich-Rechtlichen stärker auf ihren Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung zu verpflichten.
Zukunftsrat
Beim SR wird dies so nicht gesehen. Relevanz heißt hier Quote, und die hat den Werbemarkt im Auge. Dort agiert der SR wie ein privater Sender. Er sendet – in Relation zur Gesamtsendezeit – die meisten Werbespots in der ARD, doppelt so viel wie der Durchschnitt. Redaktionelle Konzepte scheinen auf Quote und Geldverdienen ausgerichtet zu sein. Der Zukunftsrat befürchtet, dass mit solchen Denkmustern weiter Akzeptanz in der Bevölkerung verlorengeht. Er stellt fest:
„Auch fehlt es häufig an der Unterscheidbarkeit öffentlich-rechtlicher von privatwirtschaftlichen Angeboten. Die mangelnde Profilierung des Angebots mag kurzfristig der Einschaltquote nützen, schmälert auf Dauer aber die Akzeptanz. Die Öffentlich-Rechtlichen sind – anders als gewinnorientierte privatwirtschaftliche Medien – vom Druck des Markts befreit.“
Fazit: Der neue Rundfunkrat muss den SR wieder auf seinen Kernauftrag ausrichten
Nichts gegen „Klangteppiche“ aus Musik, Tönen, Geräuschen und sinnfreier Lustigkeit. Das passt schon mal. Bei den SR-Radiomachern hat jedoch die Unterhaltung eine dermaßen große Bedeutung und finanziell, technisch und personell ein Übermaß erreicht, das für das eigentliche Kerngeschäft, die authentische, faktenbasierte, kritische Berichterstattung zu wenig Raum lässt.
Aber genau dafür zahlen die Saarländer dem SR im Jahr fast 70 Millionen Euro an Rundfunkbeiträgen. Hinzu kommen in diesem Jahr mehr als 60 Millionen Euro Finanzhilfen und Sachleistungen von der ARD. Ein Großteil versendet sich vom Halberg aus als leichte und seichte Unterhaltung übers Land. Diese Millionen fehlen für die Produktion eines Informations- und Bildungsangebots mit Substanz und Reichweite.
Der neue Rundfunkrat mit dem Kommunikationswissenschaftler und Medienexperten Dr. Thomas Jakobs an der Spitze steht vor einer anspruchsvollen Reform. Es geht darum, dass die SR-Verantwortlichen Geld und Personal wieder auf den öffentlich-rechtlichen Kernauftrag lenken, auf Information und Bildung. Die Hauptaufgabe des Rundfunkrats wird sein, das öffentlich-rechtliche Profil des SR zu stärken, d.h. die inhaltlichen Schwerpunkte so zu setzen, dass relevante Vorgänge in unserer Gesellschaft wieder transparent und umfassend dargestellt werden. Der SR muss die Informationsbedürfnisse der Saarländer ernst wieder nehmen.
Nicht zuletzt wegen ihres Sendeangebots haben die ARD-Anstalten bei den Bürgern Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. Diese müssen sie zurückgewinnen. Mit Sommeralm, Saarlodris, Saar-Schwätzmaschine und Saarland-Fühlen wird dies sicher nicht gelingen.
Info Zukunftsrat: Die Bundesländer hatten den Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingesetzt. Der Rat sollte eine langfristige Perspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seiner Akzeptanz entwickeln. Im Januar dieses Jahres haben seine acht Mitglieder, allesamt Wissenschaftler und Praktiker aus Medien und Journalistik und ein langjähriger Verfassungsrichter, unter der Leitung der ehemaligen Gruner+Jahr-Vorsitzenden Julia Jäkel einen Bericht mit zehn Empfehlungen und Vorschlägen präsentiert. Hier zum Bericht.
Wird fortgesetzt
Quellen:
Bericht des Rates für die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Hörerreichweitenermittlung Agma Audio 2024 I
SKL-Glücksatlas 2023 Saarland
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Beitrag zuletzt geändert am 24.7.24 11:00 h