Mit immer mehr Miesen immer tiefer in die Misere

Kommunale Schulden Teil 2: Warum die Eigenständigkeit des Saarlandes gefährdet ist. 

Das kommunale Schuldenmachen wächst in keinem anderen Bundesland so ungebremst wie im Saarland. In keinem Bundesland sind die Kommunen so stark von Banken und Sparkassen abhängig.

Auch die neueste positiv stimmende Meldung im Aktuellen Bericht vom 28. September, die saarländischen Kreise und Kommunen hätten ihre Schulden um 1,4 % verringert und lägen jetzt bei 3,7 Milliarden Euro, beleuchtet nur einen Teilaspekt der Misere: Die Presseerklärung des Statistischen Bundesamtes beinhaltet nur die Investitionskredite (=fundierte Schulden), die Kassenkredite und die Wertpapierschulden. Die in Eigenbetrieben versteckten Schulden (ausgelagerte Schulden, im Saarland 3 Milliarden Euro) fehlen in dieser Statistik. Auch für die Schulden der Eigenbetriebe haftet der Steuerzahler. Überdies: Ein Abbau um 1,4 % nur bei einem Teil der kommunalen Schulden (genau von 3,773 Milliarden Euro auf 3,719 Milliarden Euro) sind nicht wirklich als Trendwende zu bezeichnen.

komm-schulden-nach-laendern

Ursachen: Steuersenkungen, Landesbegierden, Schwimmbäder
„Wer ist schuld an der Misere?“ fragte Daniel Kirch in der Saarbrücker Zeitung bereits 2014 und lieferte einige Erklärungsmuster: Die Steuersenkungen des Bundes entzögen seit 1998 den Saar-Kommunen jährlich 160 Millionen Euro. Die Landkreise seien nicht immer sparsam, da sie sich ihr Geld von den Kommunen per Umlage holten und bei den Sozialausgaben eher großzügig seien. Die Kommunen sparten zu wenig, heißt es bei der Industrie- und Handelskammer. Es gäbe zu viel Luxus, zu viele Hallen und Schwimmbäder mit hohen Betriebskosten. Und: Die Landesregierung saniere sich mit 40 Millionen Euro pro Jahr auf Kosten der Städte und Gemeinden.

„Konsolidierung nicht weiterhin zulasten der Kommunen“
In der Tat haben die Saar-Kommunen von der Landesregierung nicht viel zu erwarten. Sie erhalten pro Kopf 58 € weniger als der Durchschnitt der Flächenländer, hat PWC im Länderfinanzbenchmarking 2016 ermittelt; die Gemeinden von Perl bis Gersheim sind also insgesamt um 58 Millionen Euro schlechter gestellt als der Bundesdurchschnitt. PWC warnt, das Land müsse bei den noch erheblichen Sparanstrengungen vor allem darauf achten, “dass die notwendige Konsolidierung nicht weiterhin zulasten der Kommunen erfolgt, sondern auch die kommunale Ebene die Chance erhält, Haushalte ohne neue Schulden aufzustellen und zu vollziehen.“ Aber davon sind die Saar-Kommunen angesichts einer 2,1 Milliarden-Schuld allein wegen Kontoüberziehung noch weit entfernt. 

Saarpfalzkreis der größte Miesen-Macher unter den Kreisen
Wie die Bürgermeister wirtschaften auch die Landräte inzwischen nach der Devise „Leben auf Pump“: Der Saarpfalzkreis z.B. stand Ende 2015 mit einem Dispo-Kredit von 22,7 Millionen Euro in den Miesen. Er führt seit Jahren unangefochten das Schulden-Ranking der Landkreise an. Sparsamster Kreis ist Saarlouis, dort ist die Pro-Kopf-Belastung der Kreisbürger etwa nur ein Drittel so hoch wie im Saarpfalz-Kreis. 

schulden-ranking-der-landkreise

Kreisumlage für die Landräte eine runde Sache: Keiner protestiert
In der Diskussion um Schuld und Tilgung bei den Kommunalfinanzen haben die Landräte ihre Ausgabenpolitik bisher nicht in Frage stellen müssen. Dabei finanzieren sie sich aus den Gemeindekassen, aus der Kreisumlage. Diese steigt von Jahr zu Jahr und drückt den Kommunen immer mehr die Luft ab. Die Saarland-Analyse zeigt: Die „roten“ Landräte sind die weniger kostenbewussten; sie geben pro Bürger weit mehr Geld aus als die CDU-Landräte und: Sie haben auch in den letzten vier Jahren die stärksten Kostensteigerungen: Kreis Neunkirchen 19 %, Saarpfalzkreis 15 %, Regionalverband 12 %, Merzig-Wadern 8 % und Saarlouis 5 %. Nur der Kreis St. Wendel hat seine Kommunen in diesem Zeitraum um 8 % entlastet. Seit 2012 ist die Kreisumlage aller Saar-Gemeinden auf insgesamt 602 Millionen Euro gestiegen, um mehr als 15 %, bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang um 5 % (!).

Niemand weiß, wo die Kommunen dran sind
Wie leistungsfähig und kreditwürdig eine Kommune ist, weiß im Saarland niemand. Dafür fehlt es an systematischer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung. Seit kurzem macht sich der Innenminister an das Thema, d.h. er hat transparentes Controlling erst mal angekündigt. Andere Innenminister können dies schon seit vielen Jahren. Beispiel die Datenbank RUBIKON von Mecklenburg-Vorpommern. Sie ermittelt landesweit vergleichbar anhand von 18 Haushaltskriterien transparent die Leistungsfähigkeit aller 844 kreisangehörigen Kommunen. Seit 2006.  Damit hat die Kommunalaufsicht ein Druckmittel gegen schlampige Gemeinden. Im Saarland hingegen haben die meisten Bürgermeister den Rubikon längst überschritten.

Unfähig zur Gemeindeprüfung
Das Schuldenmachen mit Kassenkrediten eskaliert seit mehr als 20 Jahren. Allein von 2003 bis 2009 hat es sich mehr als verdoppelt und von 2009 bis 2015 um weitere 745 Millionen Euro zugelegt, pro Jahr um die 125 Millionen. Auf dem Kontoauszug stehen heute 2,1 Milliarden Euro im Soll. Die Kontrolle hat versagt. Prof. Junkernheinrich in seinem Gutachten zur Funktionsfähigkeit der Gemeindeprüfung durch das Land: Sie kann „aufgrund der fehlenden Unabhängigkeit, unzureichender Prüfungsbefugnisse und einer unzureichenden Personalisierung verneint werden“. Auf Deutsch: Die saarländischen Innenminister waren in diesem Punkt überfordert oder haben als Parteipolitiker agiert.

identitaet-kopie-2

Und damit die Banken reicher gemacht: Die Banken und Sparkassen kassieren allein für die 2,1 Milliarden Euro Kassenkredite aller Saar-Kommunen bei einem Zinssatz von z. Zt. ca. 1 % im Jahr 21 Millionen Euro Zinsen, nur für den Dispo-Kredit, die Zinsen für Investitionskredite und die der ausgelagerten Schulden nicht eingerechnet. Die Kreditinstitute äußern sich dazu nicht. Die sehr geringen Kommunal-Dispozinsen können sie durch einen bis zu zwanzig Mal höheren Überziehungszins bei Privatkunden ausgleichen.

Die Sparkasse ist scharf auf die Bürgermeister
Das Schuldenwachstum wird auch durch die aktuell günstigen Konditionen genährt. Die Zinsen sind niedrig und die öffentliche Hand ist für Bänker eine „sichere Bank“; Gemeinden gehen einfach nicht bankrott, weil ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinden gesetzlich verboten ist; das Land steht für ihre Schulden ein – bei 18 Milliarden Euro eigenen Schulden eine sehr theoretische Bürgschaft.

Banken geben lieber kurzfristige Kredite
Die Banken vergeben auch lieber kurzfristige Kassenkredite als langfristige Investitionskredite, weil sie ab 2019 regulatorischen Verschärfungen und höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen einhalten müssen. So sichern sie sich einen größeren Handlungsspielraum in der Strukturierung des eigenen Kreditbestandes. Dies erklärt laut „Fokus Volkswirtschaft Kommunale Kassenkredite“ der KfW, warum die Banken scharf auf die Bürgermeister sind.

Niedrige Zinsen – hohes Zinsrisiko
Kassenkredite haben in der Regel eine kurze Laufzeit und müssen deshalb häufig refinanziert werden. Entsprechend hoch ist das Zinsänderungsrisiko. Dieses Risiko schlägt vor allem dann zu Buche, wenn variable Zinssätze vereinbart wurden und das Zinsniveau wieder ansteigen sollte. Manche Kommunen nutzen die günstige Lage sogar zur Umschuldung, um Zinskosten zu sparen. Das kann in die kommunale Hose gehen, wenn die Zinskosten wieder steigen; bei nur 0,3 Prozentpunkten Anstieg macht das ein zusätzliches Minus von 6,3 Millionen Euro in den Gemeindekassen.

Kreisparkasse und Kommunalpolitiker
Kommunalschulden scheinen vor allem im Saarpfalzkreis gute Boni für Banker zu bringen: Der Vorstand der Kreissparkasse Saarpfalz kommt damit laut Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) auf ca. 300.000 Euro Bezüge im Jahr; ebenso viel wie die Chefs der Sparkasse Saarbrücken, obwohl diese den dreifachen Personalbestand zu verantworten hätten. Kontrolle des Vorstandes (Bilanzsumme der Homburger 1,7 Milliarden Euro) und Kreditvergabe ist Sache des Verwaltungsrates, ein Gremium aus sechs Kreistagsmitgliedern, sechs sonstigen Sachverständigen (u.a. dabei der Landtagsabgeordnete Günther Becker und der Homburger Ex-OB Karlheinz Schöner) und sechs Sparkassenmitarbeitern. Die Sitze im Verwaltungsrat sind bei Politikern begehrt, gibt es für die Ratsmitglieder doch ein angenehmes Zubrot, ausweislich des Geschäftsberichts 2015 insgesamt 78.000 Euro Aufwandsentschädigung und auch günstige Privatkredite, insgesamt 427.000 Euro.

Kommunale Schulden lassen die Kreisparkassen klingeln
Bei der KSK Saarpfalz standen 2015 Kommunen und Kreis mit 373,3 Millionen Euro im Soll. Das lässt die Kassen klingeln. „Die wichtigste Ertragsquelle der Sparkasse stellt nach wir vor der Zinsüberschuss dar. Ungeachtet der weiter anhaltenden Niedrigzinsphase hat er sich gegenüber dem Vorjahr um 3,1 Millionen Euro erhöht und liegt auch deutlich über dem prognostizierten Wert von 41,2 Millionen Euro,“ bei 43,6 Millionen Euro, vermeldet der Geschäftsbericht mit Stolz. Ein Grund: die um 18,3 Millionen Euro (1,7 %) gesteigerten Kommunalkredite im Saarpfalzkreis (im Jahr zuvor sogar um 36 %).

Der Kommunale Entlastungsfonds geht an die Banken
Für die kommunale Schuldenlast bringt auch der Kommunale Entlastungsfonds des Innenministers keine Entlastung. 17 Millionen Euro bekommen die Gemeinden, die die Schuldenbremse einhalten, bei 2,1 Milliarden Euro Kassenkrediten gerade mal 0,8 Prozent, nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch für Gersheim fällt ein Almosen ab: 218.605 Euro, nicht einmal 0,7 Prozent seiner Kassenschulden. Aber die Gemeinden haben nicht viel von der 17 Millionen-Jahresgabe des Innenministers. Banken und Sparkassen warten schon auf Zinszahlungen. Das Vermögen der Gemeinden und Landkreise gehört ihnen zum großen Teil ohnehin schon.

Fazit: Beim Sparen müssen alle ran
Um es vorweg zu sagen: Einige Bürgermeister haben Glück und gute Steuereinnahmen.  Einige machen einen guten Job. Aber manche eben nicht. Denn: 1,4 Milliarden Euro Schulden für die Infrastruktur, 2,1 Milliarden Euro Dispokredit und 3 Milliarden Euro ausgelagerten Schulden – mit insgesamt 6,5 Milliarden Euro stehen die Städte und Gemeinden bei Banken und Sparkassen in der Kreide. Dafür zahlen sie – vorsichtig geschätzt – an die 100 Millionen Euro an Zinsen, Jahr für Jahr. Geld, das für schlaglochfreie Straßen und saubere Schultoiletten fehlt.
Verantwortung dafür tragen das Land, das die Kommunen seit Jahren erheblich unterfinanziert, einige Landkreise mit ständig steigenden Kreisumlagen und die Kommunen selbst. Denn Jahr für Jahr geben sie nicht vorhandenes Geld aus.
Bürgermeister, Kämmerer und Räte verstoßen seit Jahren systematisch gegen haushaltsrechtliche Vorschriften. Was sie nicht sehen wollen: Wer aus einer Kasse mit 100 Euro Schulden 200 Euro rausnimmt, muss 300 hineintun – damit nichts drin ist!
Lösungsansätze sind komplex und benötigen viele Jahre der Umsetzung. Aus allen Lagern tönt der Ruf nach einem mit Bund und Ländern auszuhandelnden Umschuldungskonzept. Nur: Die Saar-Bürgermeister sollten nicht noch darauf hoffen, dabei besser abzuschneiden als die disziplinierter wirtschaftenden Bürgermeister z.B. in Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein. Einiges können Landes- und Kommunalpolitiker aber selbst und sofort anpacken.

  1. Es bringt das Land nicht weiter, wenn alle beim Sparen auf andere zeigen. Da müssen alle gemeinsam mit gutem Beispiel ran:
  • Für das kleine Haushaltsnotlagenland Saarland reicht ein Landtag mit 33 Abgeordneten (Sie hören den Aufschrei der Abgeordneten?) Ersparnis: 6 Millionen per anno.
  • Durch professionelles Projektmanagement Fehlplanungen und Millionen-Verschwendung z.B. bei Hochbaumaßnahmen abstellen. Potential: 20-30 Millionen.
  • „Die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit auf das unabdingbare Maß zurückführen“, wie im Koalitionsvertrag 2012 feierlich versprochen. Einsparung 10-15 Millionen (Sie hören den Aufschrei der Minister?).
  1. Endlich die Gebietsreform mit weniger Kreisen und Gemeinden angehen. Der kleinteilige saarländische Mikrokosmos von Politik und Verwaltung macht eine ökonomische Vereinfachung und Entschlackung notwendig (Sie hören den Aufschrei der Landräte und Bürgermeister?). Von den sechs Landkreisen in Mecklenburg-Vorpommern sind fünf größer als das Saarland. Und Nachbar Rheinland-Pfalz macht vor, wie wirtschaftlichere Verwaltung geht.
    Im Rahmen der Gebietsreform Personal effizienter einsetzen, Kooperationen vereinbaren: Die Gemeinden sind wie Landes- und Kreisverwaltungen überpersonalisiert. Ämter können zusammengelegt, Verwaltungsabläufe gestrafft werden. (Sie hören den Aufschrei der Gewerkschaften?). 640 Millionen Euro geben die Kommunen und Kreise im Jahr für Personal aus. Da brächte eine Bürokratie-Verschlankung um 10 % schon einiges.
  1. Die Landkreise einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterziehen; sie bedienen sich mit der Kreisumlage in den Gemeindekassen. Nicht alles, was sie damit finanzieren, ist Pflichtaufgabe; Landräte machen auch gerne Politik.
  2. Die Innenminister haben bei der Steuerung der Gemeindefinanzen versagt; für die Gemeindeprüfung mit effizienten Eingriffsmöglichkeiten haben Landesregierung und Landtag die von Experten geforderten Werkzeuge verweigert. Konsequenz: Die Gemeindeprüfung geht an den Rechnungshof; der ist wenigstens nicht weisungsgebunden und nicht anfällig für Bürgermeister-Avancen.
  3. Pflichtfortbildung in kommunaler Haushaltsführung für alle Gemeinde- und Stadtratsmitglieder. Damit sie sehen, was sie alles anrichten. Praktische Tipps schon mal hier:  http://www.steuerzahler.de/files/67482/BdSt-Sparen_in_der_Kommune.pdf
  1. Ausgaben auf die Pflichtaufgaben beschränken: Die Zeit des Bürgermeister-Füllhorns ist vorbei. Wahlgeschenke und Freundschaftsdienste sind ab sofort verboten.
  2. Sitzungsgelder und Aufsichtsratstantiemen begrenzen: Warum müssen „Spitzenverdiener“ im Saarbrücker Stadtrat 14.000 Euro im Jahr für ihr „Ehrenamt“ verdienen? Die Stadtratsmitglieder haben das Fiasko durch Hand heben verursacht. Die Hand weiter aufhalten geht da nicht mehr, bis wenigstens die Überziehungskredite auf null sind.

Es ist eine Unverfrorenheit, wenn Kämmerer behaupten, dass sie nichts für die Misere können, weil alles woanders entschieden werde. Wenn das wirklich so wäre, bräuchten wir weder Gemeinderat noch Kämmerer. Das große Erwachen wird kommen. Bis dahin ist alles, was Minister, Landräte, Bürgermeister und Räte zum gewissenhaften Wirtschaften verschlafen, unentschuldbar.

Quellen: Landesamt für Statistik, Bundesamt für Statistik, PWC-Länderfinanzbenchmarking 2016, KfW Research (Januar 2015), Haushaltssteuerung.de, Prof. Martin Junkernheinrich: Gutachten zu den kommunalen Finanzen im Saarland (April 2015), Saarbrücker Zeitung; Bund der Steuerzahler Saarland; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), Geschäftsbericht 2015 der Kreissparkasse Saarpfalz.