Das Saarland hat seit Ende der 90er Jahre etwa 100.000 Einwohner verloren. In den nächsten 20 Jahren verschwinden weitere 100.000, sagen Prognosen des Bundes. Die Folgen für die Wirtschaft und die Beschäftigten sind gravierend. Sie gefährden den Wohlstand und das soziale Leben. Wohin steuert das Saarland? Die neue Serie von Saarlandinside beginnt mit einer Bilanz der letzten 20 Jahre.
Das Saarland schrumpft und altert am schnellsten von allen Bundesländern.
● Das Saarland hat in den letzten 20 Jahren etwa 100.000 Einwohner verloren; ohne die 30.000 zugezogenen Flüchtlinge und Asylsuchenden wären es noch mehr.
● Jedes Jahr sterben knapp 6.000 Menschen mehr als geboren werden. Die Saarländerinnen bekommen die wenigsten Kinder. 1,48 Kinder pro Frau, das ist zusammen mit Hamburg und Berlin die niedrigste Geburtenziffer. In den letzten 20 Jahren kamen 150.000 Kinder auf die Welt, verstorben sind in diesem Zeitraum jedoch 270.000 Saarländer.
● Es ziehen mehr Menschen aus dem Saarland weg als zuwandern. Seit dem Jahr 2000 haben per Saldo 34.000 deutsche Staatsangehörige die Saar verlassen. Sie hat es vorwiegend nach Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezogen. Dass Arbeitssuchende das Saarland meiden, hat viele Gründe. Einer könnte sein, dass in wichtigen Branchen im Saarland weit weniger verdient wird als im Bundesschnitt.
● Die Saarländer sind mit einem Durchschnittsalter von 46,4 Jahren mit die ältesten der Republik und haben bundesweit die geringste Lebenserwartung. Der Grund der Überalterung: Heute leben hier doppelt so viele Ü-65-Jährige wie 1970. Junge Menschen fehlen. War 1970 nahezu jeder dritte Einwohner jünger als 20 Jahre, ist es heute nur jeder Sechste.
50.000 Erwerbsfähige weniger als vor 10 Jahren
Entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung des Saarlandes ist die Gruppe der Erwerbsfähigen, der 20-65-Jährigen. Ob Arbeiter, Angestellter oder Freiberufler, sie sind die Leistungsträger. Denn mit ihrem Einkommen schaffen sie Kaufkraft und damit Wohlstand. Das bedeutet auch Aufträge für die Wirtschaft und Steuereinnahmen. Die Zahl der Erwerbsfähigen hat sich jedoch in den letzten zehn Jahren um knapp 50.000 auf heute 570.000 verringert. Versicherungspflichtig beschäftigt sind heute 360.000 Saarländer, 12.000 weniger als vor zehn Jahren. Im Gewerbe und in Privathaushalten arbeiten etwa 75.000 Minijobber. Die Industrie- und Handelskammer sieht einen massiven Fachkräftemangel kommen. Sie rechnet damit, dass bereits bis 2028 rund 80.000 Fachkräfte fehlen werden.
Die Saarländer können sich weniger leisten
Die Saarländer haben im Vergleich zu den anderen westlichen Bundesländern die niedrigsten Einkommen. Das Jahres-Haushaltseinkommen hierzulande liegt bei 20.277 Euro, rund 3.000 Euro unter dem der Rheinland-Pfälzer (23.197 Euro). Anders gewendet: Hätten die Saarländer die Kaufkraft der Rheinland-Pfälzer, hätten sie jährlich rund 1,5 Milliarden mehr verdienen und ausgeben können.
Landesrechnungshof schlägt Alarm: mehr als 16 Milliarden Euro Schulden
Zu geringeren Einnahmen und schwacher Finanzkraft kommen die hohen Schulden. Die Landesregierung muss neue Kredite aufnehmen, auch um die alten Kredite abzubezahlen und laufende Ausgaben zu finanzieren. So nimmt die Landesregierung im Zuge der Corona-Krise 2,1 Milliarden Euro an neuen Krediten auf. Die Hälfte davon dient dazu, die Corona-bedingten Einbußen auszugleichen, die andere Hälfte, das laufende Geschäft wie Digitalisierung oder Sanierung der Krankenhäuser finanzieren zu können. Das Saarland hat 16 Milliarden Euro Schulden, daraus ergibt sich die höchste Pro-Kopf-Verschuldung unter den Flächenländern. Der Rechnungshof schlägt in seinem aktuellen Jahresbericht deshalb Alarm. Saarlandinside hatte bereits im Zusammenhang mit der Corona-Verschuldung der Landesregierung die Lage analysiert. Der Bund der Steuerzahler Saar hält die Schuldenpolitik der Landesregierung für verfassungswidrig. Dies ist kein Einzelfall. Auch in Hessen wurde der Landeshaushalt für verfassungswidrig erklärt.
Saar-Kommunen mit bundesweit geringsten Einnahmen
Auch bei den Kommunen fehlt es an allen Ecken und Enden. Sie haben im Bundesvergleich mit Abstand die geringsten Einnahmen (pro Kopf). Dadurch können die saarländischen Landkreise und Städte auch nicht viel sanieren, geschweige denn neu bauen. Der Kommunalreport 21 der Bertelsmann Stiftung weist darauf hin, dass die Städte und Gemeinden im Saarland mit weitem Abstand am wenigsten in Schulen, Straßen und Gebäudeunterhaltung investieren. Sinkende Steuereinnahmen bedeuten: die öffentliche Infrastruktur befindet sich im schleichenden Verfall. Beispiel die marode Kanalisation, eine Folge jahrzehntelanger Versäumnisse. Umweltminister Reinhold Jost schätzt aktuelldie mittelfristigen Kosten der Kanalsanierung auf eine Milliarde Euro(!). Dies entspricht in etwa den Personalkosten aller 52 Gemeinden und der sechs Landkreise.
Das schwächste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer
Wo weniger produziert und konsumiert wird, sinkt die Wirtschaftskraft. Ablesen lässt sich dies an dem, was die Saarländer „schaffen“, am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 ist das Saar-BIP im Durchschnitt der Jahre nur um zehn Prozent gestiegen – der schlechteste Wert der Westflächenländer.
2040 nur noch 893.000 Einwohner
Gleich zwei aktuelle Bevölkerungsprognosen für die nächsten 20 Jahre liegen nun vor. Vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) und vom Statistischen Bundesamt. „Die regionalen Trends der Vergangenheit sind auch die Trends der Zukunft“, so das Fazit des BBSR in seiner Studie. Regionen, die schon in der Vergangenheit geschrumpft sind, werden bis 2040 weiter zurückfallen. Die Perspektive der Behörde für das Saarland: Unterm Strich gehen dem Land weitere 100.000 Einwohner verloren. 893.000 Saarländer werden wir 2040 sein. Ende der 90er Jahre waren wir noch 1.116.000.
Fazit: Weniger Einwohner bedeuten über die Jahre Milliarden weniger Steuereinnahmen, geringere Einkommen und Kaufkraft, sinkender Wohlstand. Es geht um die Frage, ob trotz des massiven Einwohnerverlustes die Lebensqualität erhalten werden kann. Wie kann das soziale Zusammenleben gesichert werden und können Zehntausende von Arbeitsplätzen besetzt werden? Letztendlich geht es um die Zukunft unseres Landes. Wie wollen wir unser Saarland fit für die Zukunft machen, so dass es trotz der wenigen Einwohner als eigenes Bundesland überhaupt überleben kann? Dafür braucht man eine klare Vision und eine Gesamtstrategie von Politik, Kammern und Verbänden, mit konkreten Maßnahmen und Prioritäten. Saarlandinside wird in den nächsten Folgen darüber berichten. Die Erzählungen der Politiker im Wahlkampf vom „Saarland als international attraktivem Wirtschaftsstandort“, mit „bundesweit bestem Bildungssystem“, „10.000 neuen Jobs in Zukunftsbranchen“ und der laute Ruf „Ich will wieder eine Million Saarländer“ entlarven sich jedenfalls als Versuche, die Menschen von den Fakten abzulenken und die Orientierung zu vernebeln.
Quellen:
Demografie-Portal des Bundes und der Länder
Statistisches Amt Saarland Jahrbuch 2014
Statistisches Bundesamt Destatis: Wanderungen 2019
BertelsmannStiftung: Kommunaler Finanzreport 2021
Bundesagentur für Arbeit: Statistik der sozialversicherungspflichtigen und geringfügigen Beschäftigung
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