Energie SaarLorLux hat seinen 13.000 Saarbrücker Fernwärmekunden die Lieferung gekündigt und massiv die Preise erhöht. Ein Grund ist der Preisanstieg bei Gas. Auch Strom und Fernwärme aus dem neuen Gasmotorenkraftwerk GAMOR werden vermutlich deutlich teurer. Der Fernwärmeverbund Saar FVS mit ebenfalls 13.000 Kunden im Raum Völklingen-Saarlouis hält sich Preiserhöhungen offen.
Schrecken für die Fernwärmekunden von Energie SaarLorLux kurz vor der Heizperiode: „Kündigung Fernwärmeliefervertrag“ hieß es als Überschrift eines Schreibens, das in diesen Tagen zugestellt wurde. Anlass zur Sorge, dass sie in diesem Winter frieren müssen, besteht für die Kunden nicht. Der neue Vertrag soll im November per Post zugestellt werden. Doch was wird drinstehen, was im alten nicht stand? Kann man widersprechen? Oder ist man dem Standort-Monopolisten in Saarbrücken machtlos ausgeliefert? Viele Fragen, die sich auftun. Nur eines ist bisher klar: Die Fernwärme wird auf jeden Fall deutlich teurer – obwohl Energie SaarLorLux gerade in eine vermeintlich moderne Technologie investiert hat: Gas. Und ausgerechnet diese Preise schießen derzeit in den Himmel.
Das „Leuchtturmprojekt“ Gamor klimafreundlicher aber teuer
Vor wenigen Tagen feierten die Vorstände von Energie SaarLorLux mit kaltem Buffet und Live-Musik unter Beteiligung der saarländischen Politprominenz (Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger, SPD, und Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conrad, CDU) und ausgewählten Gästen ihr neues Kraftwerk, das bald ans Netz gehen soll. Sie alle lobten die Investition von 80 Millionen Euro in fünf neue Gasmotoren plus Photovoltaikanlage, die das Kohlezeitalter im Heizkraftwerk an der Römerbrücke beenden sollen. Mit Gas statt Kohle sollen in Zukunft klimafreundlich Strom und Fernwärme erzeugt werden. „Ein Leuchtturmprojekt moderner Energieerzeugung“, so Vorstandssprecher Joachim Morsch.
Pünktlich zur Heizperiode Fernwärme 13,6 Prozent teurer
Was er und die eingeladenen Medien in ihrer Berichterstattung bei dieser Gelegenheit verschwiegen: Fernwärme wird für die 13.000 Kunden von Energie SaarLorLux zum 1. Oktober, pünktlich zur Heizperiode, deutlich teurer. Für ein Einfamilienhaus errechnet sich laut Mitteilung des Unternehmens eine Preissteigerung von satten 13,6 Prozent! Und zum 1. Januar 2022 will das Unternehmen eine weitere Preissteigerung nicht ausschließen. Im Schreiben an die Kunden heißt es eher scheinheilig: „Um die vorgenannten Folgen dieser Preisentwicklung für Sie abzufedern, haben wir bereits vor zwei Jahren mit dem Bau unseres neuen Gasmotorenkraftwerks (GAMOR) begonnen, welches im nächsten Jahr in Betrieb gehen wird…Vor diesem Hintergrund ist es uns möglich, die Preisänderungsformel in Ihrem Fernwärmeliefervertrag zum 1.1.2022 an die optimierte Erzeugungsstruktur anzupassen. Damit Sie von diesen Maßnahmen profitieren können, müssen wir Ihren bestehenden Fernwärmeliefervertrag hiermit zum 31.12.2021 kündigen“.
Gaskosten treiben die Heizkosten in die Höhe
Der Kunde soll also von der optimierten Erzeugungsstruktur profitieren, und gleichzeitig werden die Preise drastisch erhöht. Wie passt das zusammen? Dumm für das Unternehmen und vor allem für die Kunden ist, dass mit Gas ausgerechnet auf einen Brennstoff gesetzt wurde, dessen Preise in die Höhe schießen. Die niedrigen Stände der Gasspeicher in Deutschland und die weltweit steigende Gasnachfrage haben die Spotmarktpreise für Gas im Laufe des Jahres mehr als verdoppelt.
Auch CO2-Steuer führt zu massiven Mehrkosten
Gleichzeitig verdoppelt sich die CO2-Steuer bis zum Jahr 2025. Die Mehrkosten für Hausbesitzer mit einem jährlichen Energieverbrauch von rd. 20.000 Kilowattstunden steigen allein dadurch von 90 Euro auf 200 Euro pro Jahr. Heben Versorger die Gaspreise an, haben Verbraucher mit Gasheizung ein Sonderkündigungrecht. Verbraucherverbände empfehlen in dieser Situation denn auch, den Anbieter zu wechseln – damit ließe sich viel Geld sparen. Nur – als Fernwärmekunde geht das natürlich nicht. Es gibt keine Alternativen, zu denen man wechseln kann.
Energie SaarLorLux empfiehlt: Statt Fernwärme andere Heizung einbauen
Auf die Frage, ob die Kunden dem neuen Fernwärmeliefervertrag explizit zustimmen müssen, antwortet Energie SaarLorLux lapidar: „Es gibt in Saarbrücken für Fernwärme keinen Anschluss und Benutzungszwang. Insofern ist der Kunde frei, alternative Heiztechniken zu nutzen.“ Das ist eindeutig. Im Ungefähren bleibt dagegen die Antwort auf die Frage, wie sich die neue Erzeugerstruktur von Energie SaarLorLux auf die Preisänderungsformel auswirkt: „Durch den Einsatz des neuen Gasmotorenkraftwerkes Römerbrücke (GAMOR) fällt der Anteil der kohlebasierten Fernwärmeerzeugung weg. Damit reduzieren sich anteilig auch die Kosten für den Kauf von CO2-Zertifikaten.“ Um wieviel, das wird nicht gesagt.
Gerichtsentscheidungen mit Signalwirkung
Nun gab es jüngst eine Gerichtsentscheidung mit Signalwirkung, die Hoffnung auf mehr Verbraucherrechte zulässt. Der Bundesverband Verbraucherzentrale obsiegte vor dem Landgericht Darmstadt und 2019 in der Berufung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in zwei Verfahren gegen Fernwärmeanbieter (Az. 6 U 190/17). Nach den Urteilen können Fernwärme-Verträge nicht durch einseitige öffentliche Bekanntgabe, sondern grundsätzlich nur durch eine übereinstimmende Erklärung beider Vertragsparteien geändert werden. Die Fernwärmeversorger Offenbach und Dietzenbach hatten im Herbst 2015 in einer Mitteilung gegenüber ihren Kunden die Preise erhöht. Sie informierten Verbraucher in Schreiben über eine Änderung ihres Preissystems und der Preisgleitklausel, die in vielen Fällen eine Preiserhöhung zur Folge hatte. Diese Änderung gaben sie öffentlich bekannt. Die Gerichte stellten klar, dass die Fernwärmeverordnung nur die Veröffentlichungsart der Änderung der Versorgungsbedingungen regelt. Voraussetzung für eine wirksame Preiserhöhung sei aber eine vertragliche Vereinbarung. Diese habe nicht vorgelegen.
Recht der Fernwärmeversorgung muss dringend reformiert werden
Das war ganz im Sinne der Verbraucherschützer. „Die rechtlichen Grundlagen der Fernwärmeversorgung sind rund 40 Jahre alt und müssen dringend reformiert werden“, so Thorsten Kasper, Energiereferent beim VZBV. So manche rechtlichen Standards und Transparenzvorschriften, die im Elektro- oder Gasmarkt inzwischen selbstverständlich sind, seien am Fernwärmesektor vorbeigezogen. „Die Rechtsbeziehung zwischen Fernwärmeversorgern und Kunden muss im Interesse von Verbrauchern grundsätzlich überarbeitet und auf eine moderne und klare Grundlage gestellt werden“, so Kasper.
Und tatsächlich fand das Urteil des OLG Frankfurt Widerhall in der Politik. Der Bundesrat verabschiedete im Juni dieses Jahres zum Ärger der Vereinigung der Fernwärmeerzeuger eine neue Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVB Fernwärmeverordnung/ Bundesrat-Drucksache 310/21) und die Verordnung über die Verbrauchserfassung und Abrechnung bei der Versorgung mit Fernwärme oder Fernkälte (FFVAV). Die muss jetzt von der Bundesregierung in Kraft gesetzt werden.
Demnächst dürfen Versorger die Preise nicht mehr einseitig ändern
Danach sollen Fernwärmeunternehmen Preisänderungsklauseln nicht mehr einseitig durch öffentliche Bekanntmachung anpassen dürfen. Geplant ist weiter, dass sie auf der Homepage ihre Vertragsbedingungen und weitere Informationen veröffentlichen und die Rechnung deutlich umfangreicher gestalten müssen – und zwar in leicht zugänglicher und allgemein verständlicher Form einschließlich der dazugehörigen Preisregelungen, Preisanpassungsklauseln und Preiskomponenten, z.B. in Form von Musterverbräuchen. Für die Kunden würde das die Transparenz erhöhen und ist sicher begrüßenswert. Die Versorger hingegen müssten hinsichtlich ihrer Kalkulation stärker die Hosen runterlassen. Außerdem sollen Kunden künftig ohne Angabe von Gründen die vertraglich bestellte Leistung einseitig um 50 Prozent reduzieren können. Dies auch sehr kurzfristig. Plant der Kunde eine Wärmeerzeugung unter Einsatz von erneuerbaren Energien, kann er sich sogar gänzlich von dem meist langfristigen Wärmelieferungsvertrag lösen.
Bunderegierung mit Verbraucherschutz jetzt am Zug
Jetzt ist die Bundesregierung am Zug. Sie muss entscheiden, ob sie die Änderungen befürwortet. Stimmt sie nicht vollständig zu, ist das Reformvorhaben gescheitert und muss von vorne begonnen werden. Die Branche wappnet sich gegen mehr Verbraucherrechte und hat von Prof. Knut Werner Lange von der Universität Bayreuth ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Das kommt, wen wundert’s, zu dem Ergebnis, dass Fernwärmeversorgungsunternehmen berechtigt sind, ihre Preisänderungsklauseln im Wege der öffentlichen Bekanntgabe an veränderte Umstände anzupassen. Man darf gespannt sein, ob die Bundesregierung dem einstimmigen Votum des Bundesrates folgt und endlich die Verbraucherrechte für Fernwärmekunden stärkt. Energie SaarLorLux jedenfalls ist gut beraten, bei den jetzt geplanten Vertragsänderungen mit äußerster Vorsicht vorzugehen, wenn sie sich nicht Klagen ihrer Kundschaft einhandeln will.
Energie SaarLorLux: So sollen Fernwärmekunden die Preise nachrechnen
Ob die Preise von Energie SaarLorLux angemessen und begründet sind, können die Kunden selbst nachrechnen, sagt das Unternehmen. Es verweist auf die Preisänderungsformel, die man auf der Internetseite auch tatsächlich findet. Der Normalverbraucher kann sich verhöhnt fühlen.
Die Preisänderung für den Verrechnungspreis berechnet man so:
Natürlich erfährt man, welche Werte in die Formel eingesetzt werden müssen. Doch deren Höhe muss man – mit dem Hinweis auf Bundesstatistiken – einfach glauben. Wie so Vieles, was die Fernwärmekunden in der Vergangenheit mehr oder weniger machtlos hinnehmen mussten.
Seit sechs Jahrzehnten Fernwärme in Saarbrücken
Startschuss für die Fernwärme in Saarbrücken war 1963 mit der Bebauung des Eschberges. 1964 ging das Heizkraftwerk an der Römerbrücke in Betrieb. Bauherr waren die Stadtwerke Saarbrücken. Die Fernwärme wird auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung (Strom und Fernwärme) erzeugt, dadurch kann die eingesetzte Primärenergie (anfangs Kohle, heute Gas) bis zu 85 Prozent genutzt werden. 2001 wurde die Anlage von dem französischen Unternehmen GDF Suez übernommen, die Betriebsführung lag weiter bei den Stadtwerken. Seit 2011 wird das HKW Römerbrücke von Energie Saarlorlux betrieben, einer Tochtergesellschaft der Saarbrücker Verkehrs- und Versorgungsbetriebe (VVS mit 49 %) und GDF, später ENGIE Deutschland (51 %). Zusätzlich zur Römerbrücke betreiben die Stadtwerke mehrere kleine Blockheizkraftwerke. Das Fernwärmenetz von ca. 185Kilometern und die Verteilung der Fernwärme liegen ebenfalls in den Händen der Stadtwerke Saarbrücken. In Saarbrücken werden ca. 13.000 Kunden mit Fernwärme beliefert.
Der Fernwärmeverbund Saar ( www.fvs.de ) in Völklingen wurde 1979 als gemeinsame Gesellschaft von Saarberg Fernwärme und den Stadtwerken Saarbrücken (SWS) gegründet. Aktuell ist die STEAG mit 74 %, die SWS mit 26 % beteiligt. Der FVS versorgt ebenfalls rund 13.000 Kunden im Bereich des Saartales bis nach Dillingen mit Fernwärme. Gespeist wird die Fernwärmeschiene von der Dillinger Hütte, der Zentralkokerei Saar, von den Kraftwerken Fenne und Weiher sowie vom Blockheizkraftwerk in Velsen. Die gesamte Wärmeerzeugung erfolgt ab Oktober mit Gas statt Kohle, die Tarifumstellung erfolgt 2021 ohne Preiserhöhung, für 2022 werden höhere Preise wegen der CO2- Besteuerung angekündigt. Kündigungen der Lieferverträge sind bei der FVS nicht geplant.
Was allerdings Energie SaarLorLux und FVS in ihrer monopolartigen Stellung gegenüber den Fernwärmekunden vereint: Beide nehmen – im Gegensatz zu Strom- und Gaskunden – an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle nicht teil.